Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung einer Mitarbeiterin im Bürgeramt bei massenhaftem Abruf von Meldedaten

Gericht

LAG Berlin-Brandenburg

Datum

01.09.2016

Aktenzeichen

10 Sa 192/16

Branche/ Lebenslage

  • Öffentlicher Dienst,
  • Beamtenverhältnis,
  • Beamter,
  • Beamte,
  • außerordentliche Kündigung massenhafter Abruf von Meldedaten,
  • unbefugte Kenntnisnahme von Daten,
  • Datenschutz,
  • Datenschutzverstoß,
  • Wiederholungskündigung

Akteure

  • Arbeitgeber (Staat),
  • Arbeitnehmer

Wer haftet?

  • Arbeitnehmer

Haftungsart

  • Außerordentliche Kündigung

Haftungsumfang

  • Fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses;
  • Verfahrenskosten

Haftungsbegründendes Verhalten

Verletzung datenschutz- und melderechtlicher Vorschriften kann wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darstellen

Technische Umstände

Unautorisierter Aufruf personenbezogener Daten Dritter unter Zuhilfenahme technischer Einrichtungen des Arbeitgebers

Persönliche Umstände

massenhafte Abrufe von Meldedaten durch eine Mitarbeiterin im Bürgeramt

Möglichkeiten der Haftungsvermeidung

Einhaltung datenschutz- und melderechtlicher Vorschriften

Zitate, Zusammenfassende Würdigung, Strategien zur Haftungsvermeidung

Dem Rechtsstreit liegen zwei außerordentliche Kündigungen – einmal aus verhaltensbedingten und einmal aus personenbedingten Gründen – zugrunde. Gekündigt wurde der im öffentlichen Dienst angestellten Mitarbeiterin insbesondere wegen des sachlich nicht begründeten Zugriffs auf Melderegisterdaten aus ihrem persönlichen Umfeld.

Der Klägerin wird dabei vorgeworfen, gegen ihre Verpflichtung zur datenschutzrechtlichen Geheimhaltung verstoßen zu haben, indem sie mehrfach unbefugt Melderegisterdatensätze aufgerufen und in mindestens einem Fall sogar die so entsprechend erlangten Informationen an einen Dritten (ihren Lebensgefährten) weitergegeben hatte.

Das Gericht führt aus:

Die Verletzung datenschutz- und melderechtlicher Vorschriften sei als wichtiger Grund „an sich“ i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Sowohl nach § 5 Abs. 1 des früheren Melderechtsrahmengesetzes (MRRG) wie auch nach § 7 Abs. 1 Bundesmeldegesetz (BMG) und § 5 Abs. 1 des Berliner MeldeG seien die mit den Meldedaten beschäftigten Arbeitnehmer im Öffentlichen Dienst einem besonderen Geheimnisschutz verpflichtet. Den bei der Meldebehörde beschäftigten Personen sei bundesgesetzlich und landesgesetzlich untersagt, diese Daten unbefugt zu einem anderen als dem zur jeweiligen rechtmäßigen Aufgabenerfüllung gehörenden Zweck zu erheben und zu verarbeiten, insbesondere bekanntzugeben, zugänglich zu machen oder sonst zu nutzen (juris Rn. 67).

Daneben komme ein Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften des Landesrechts in Betracht (vorliegend § 32 Berliner DSG), wenn jemand unbefugt personenbezogene Daten übermittelt oder abruft, sofern diese nicht offenkundig sind (juris Rn. 68).

„Die Klägerin hat in einem verfassungsrechtlich besonders geschützten Bereich in strafrechtlich relevanter Weise gegen bundes- und landesgesetzlich ausdrücklich als die Arbeitnehmerin verpflichtende Vorschriften in vielfacher Weise verstoßen. Auch wenn die Übermittlung der Daten durch die Klägerin teilweise zwischen den Parteien streitig ist, ist der Abruf durch sie doch weitestgehend unstreitig. Wenn eine Arbeitnehmerin gegen derartige ausdrücklich formulierten Verpflichtungen im Kernbereich ihrer Tätigkeit verstößt und sich damit verfassungswidrig verhält, ist das als wichtiger Grund an sich für eine außerordentliche Kündigung geeignet“ (juris Rn. 69). Das sei auch dann der Fall, wenn die Daten nur einen kleinen Personenkreis betreffen und die Abrufe nur aus reiner Neugier erfolgen.

ANMERKUNGEN

Das LAG Berlin-Brandenburg bejaht die Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen Kündigung einer Mitarbeiterin im Bürgeramt bei massenhaftem unautorisiertem Abruf von Meldedaten.

Bei der Beurteilung eines Verstoßes gegen Datenschutzvorschriften durch einen hoheitlich tätigen Arbeitnehmer ist nicht die Quantität, sondern die Qualität des damit verbundenen Eingriffs in die Rechte Dritter entscheidend (Spitz, jurisPR-ITR 25/2016 Anm. 4).

Daneben äußert sich das Gericht zu den Grenzen einer Wiederholungskündigung bei nachfolgender strafrechtlicher Verurteilung wegen zuvor bekannter Pflichtverstöße.

Offenbart eine strafrechtliche Verurteilung wegen einer zuvor bekannten Pflichtverletzung, die bereits Grundlage für eine Kündigung des Arbeitnehmers war, einen über den bekannten Pflichtverstoß hinausgehende neue Vertrauensverletzung, so stellt eine hierauf gestützte neue Kündigung keine unzulässige Wiederholungskündigung dar (Spitz, jurisPR-ITR 25/2016 Anm. 4).

Schreiben Sie einen Kommentar