BGH bestätigt Abschaffung der Störerhaftung (?)

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Der Bundesgerichtshof hat am 26. Juli 2018[1] entschieden, dass die seit dem 13. Oktober 2017 geltende Neufassung des § 8 Abs. 1 S. 2 Telemediengesetz (TMG), mit dem die Störerhaftung von WLAN-Betreibern weitgehend abgeschafft werden sollte, in wesentlichen Aspekten europarechtskonform ist.

Bisherige Rechtslage

Nach bisheriger Rechtslage mussten WLAN-Betreiber mit der „Sommer unseres Lebens“-Entscheidung des BGH[2] befürchten, für Rechtsverletzungen in Haftung genommen zu werden, die (unberechtigte) Dritte durch Nutzung ihres ungesicherten WLAN begangen hatten. Der rechtliche Hintergrund war folgender:

Anschlussinhaber konnten zwar schon nach der vormaligen Regelung des § 8 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1, 2 TMG (geändert durch das 2. TMG-Änderungsgesetz) nicht als Täter belangt werden, wenn nicht sie selbst, sondern Dritte die Rechtsverletzung begangen hatten. Soweit jedoch durch den Anschlussinhaber die notwendigen Sicherungen des WLAN nicht vorgenommen wurden, konnte dieser als Störer in Anspruch genommen werden. Störer ist, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beiträgt.[3]

Soweit zum Zeitpunkt einer Rechtsverletzung auch andere Personen den Anschluss benutzen konnten, gab es keine Vermutung für die Täterschaft des Anschlussinhabers. Allerdings traf den Anschlussinhaber hierfür eine sogenannte sekundäre Darlegungslast.[4] Grundsätzlich genügte dafür der konkrete Vortrag des Anschlussinhabers, dass und wenn ja, welche Personen zum Tatzeitpunkt selbstständig Zugang zum Netzwerk hatten, mithin ein konkreter Vortrag zum Nutzungsverhalten anderer Personen.

Im sog. „Loud“-Rechtsstreit ging der BGH davon aus, dass z.B. Eltern als Anschlussinhaber, falls ihnen der tatsächliche Täter im Rahmen der zumutbaren Nachforschungspflichten bekannt werden sollte, ihrer sekundären Darlegungslast nur dann genügen, wenn sie den Namen des Täters preisgeben. Das sollte selbst dann gelten, wenn es sich hierbei um ein im Elternhaus lebendes volljähriges Kind handelte.[5]

In weiteren Entscheidungen konkretisierte der BGH die Verantwortlichkeit von WLAN-Betreibern, wenn diese als Täter der Rechtsverletzung ausschieden. Zunächst mussten Anschlussinhaber für eine hinreichende Absicherung des eigenen Anschlusses sorgen, unter anderem durch die Nutzung von individuellen Passwörtern[6]. Darüber hinaus mussten Anschlussinhaber prüfen, dass das Anschlussgerät – im Regelfall der Router mit WLAN-Funktion – den zum Kaufzeitpunkt marktüblichen Sicherungsanforderungen genügte. Es sei auch privaten Anschlussinhabers zuzumuten zu prüfen, ob der Anschluss durch angemessene Sicherungsmaßnahmen dagegen geschützt ist, von Dritten für die Begehung von Rechtsverletzungen missbraucht zu werden.

Im Rahmen der sekundären Darlegungslast der Anschlussinhaber waren diese Sicherungsvorkehrungen unter anderem durch Angabe des Routertyps und des Passwortes darzulegen.[7] Konnte ein Anschlussinhaber die Einhaltung entsprechender Sicherungsstandards nicht darlegen, war damit nach den Grundsätzen der Störerhaftung eine Haftung auf Unterlassen und auf Erstattung der Abmahnkosten verbunden. Zumindest eine Schadensersatzhaftung kam wegen fehlenden Handlungsunrechts nicht in Betracht.[8]

In der Rechtsprechung ist die Störerhaftung von privaten Haushalten und von Anschlüssen im öffentlichen Raum unterschieden worden, ohne dass große Unterschiede in der Behandlung erkennbar wären. So nahm das LG Hamburg in einer Entscheidung an, dass der Betreiber eines Internet-Cafés für Rechtsverletzungen Dritter stets als Störer hafte.[9] Zumindest jedoch bei einer hinreichenden Sicherung der Anschlüsse und der Belehrung der den Anschluss nutzenden Hotelgäste, keine Rechtsverstöße zu begehen, wurde eine Störerhaftung teilweise abgelehnt.[10] Rechtssicherheit bestand zu diesem Zeitpunkt jedoch weder für private noch geschäftliche Anbieter.

Um für mehr Rechtssicherheit für Anschlussinhaber zu sorgen, beschloss der Gesetzgeber bereits am 02.06.2016 das 2. TMG-Änderungsgesetz. § 8 Abs. 3 TMG alte Fassung erstreckte die Haftungsbefreiungen für Access Provider gem. § 8 Abs. 1 und 2 TMG auch auf gewerbliche und nicht gewerbliche Diensteanbieter. Dadurch wurde klargestellt, dass die bisher geltende Haftungsprivilegierung des § 8 TMG auch für WLAN-Anbieter gelten sollte. Diese Regelung änderte jedoch nichts an der potentiellen Störerhaftung, da diese gerade nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden war, wenn das auch ursprünglich so beabsichtigt war.[11] Der WLAN-Anbieter konnte weiterhin Beseitigungs- und Unterlassungsklagen ausgesetzt sein.[12] Unklarheiten der Rechtslage wurden letztlich durch die „McFadden“-Entscheidung des EuGH stark verstärkt, demnach WLAN-Betreiber zwar für Rechtsverstöße Dritter nicht auf Schadensersatz haften, Gerichte oder Behörden aber Anordnungen erlassen können, um wiederholte Rechtsverletzungen zu verhindern.[13]

Abschaffung der Störerhaftung sowohl für private als auch geschäftliche WLAN-Betreiber

Mit dem durch das am 29.06.2017 verabschiedete 3. TMG-Änderungsgesetz neu geregelten § 8 Abs. 1 S. 2 TMG wurde die Störerhaftung in weiten Teilen abgeschafft. Insbesondere können Dienstanbieter für Rechtsverletzungen durch Dritte nicht mehr auf Schadensersatz, Beseitigung oder Unterlassung in Anspruch genommen werden. Diese Privilegierung bezieht sich grundsätzlich auf jegliche Verantwortlichkeit, sei es zivil-, straf-, oder öffentlich-rechtlich.[14]

Informationsbeseitigungs- und Sperrpflichten

Als Ausgleich für diese Haftungsprivilegierung wurde hingegen die Verpflichtung von Betreibern zur Entfernung oder Sperrung von Informationen eingeführt, § 7 Abs. 3 und 4 TMG. Das Verhältnis dieser Norm zu § 8 TMG ist bisher nicht hinreichend geklärt.[15] Gem. § 7 Abs. 4 TMG können WLAN-Anbieter zu Netzsperren verpflichtet werden, sollte der tatsächliche Rechtsverletzer nicht ausfindig zu machen sein.

Welche Maßnahmen § 7 Abs. 4 TMG allerdings umfasst, ist stark umstritten. Ausdrücklich vom Gesetzgeber erwähnt wurden zum Beispiel die Sperrung bestimmter Ports am Router, um den Zugang zu Filesharing-Netzwerken zu verhindern.[16] Vorgeschlagen wurde auch der Einsatz von Filterprogrammen.[17] Diese Maßnahmen stehen grundsätzlich unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit. Nur solche Maßnahmen können gewählt werden, die das mildeste Mittel darstellen.[18] Dabei ist zu berücksichtigen, was technisch möglich und wirtschaftlich zumutbar ist. Insbesondere soll damit der Gefahr des sog. „Overblocking“ begegnet werden, also der Gefahr, dass Anschlussanbieter zu viele und dann auch rechtmäßige Inhalte unzugänglich machen, um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden.[19] Gerade bei kleinen WLAN-Anbietern kann die Verpflichtung zu umfassenden Sperrungen schnell wirtschaftlich unzumutbar sein.[20]

Entscheidung des BGH

Mit der eingangs genannten Entscheidung hat der BGH eine frühere Verurteilung eines Anschlussinhabers nach den Grundsätzen der Störerhaftung aufgehoben. Über die Anschlüsse des Beklagten (sowohl WLAN als auch drahtgebunden) war ein Computerspiel unbefugt zum Herunterladen angeboten worden. Der BGH entschied, der neu geregelte § 8 TMG lasse eine Inanspruchnahme der Vermittler eines Internetzugangs wegen einer rechtswidrigen Handlung eines Nutzers auf Schadensersatz, Beseitigung oder Unterlassen einer Rechtsverletzung nicht mehr zu.[21]

Insbesondere hatte das Gericht keinerlei unionsrechtliche Bedenken gegen § 8 Abs. 1 S. 2 TMG. Grundsätzlich seien Staaten unionsrechtlich dazu angehalten, zugunsten der Rechteinhaber die Möglichkeit gerichtlicher Anordnungen gegen Vermittler vorzusehen, deren Dienste von Dritten zur Verletzung des Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden. Der deutsche Gesetzgeber habe eine Unterlassungshaftung des Zugangsvermittlers zwar ausgeschlossen.[22] Die mit dem neuen § 7 Abs. 4 TMG geschaffene Vorschrift, die zumindest die Sperrung des Zugangs zu Informationen regele, sei aber richtlinienkonform dahingehend fortzubilden, dass der Sperranspruch auch gegenüber drahtgebundenen Internetzugängen geltend gemacht werden könne. Darüber hinaus sei der Anspruch auf Sperrmaßnahmen nicht auf bestimmte Maßnahmen beschränkt, sondern schließe auch eine Verpflichtung zur Registrierung von Nutzern, Verschlüsselung des Zugangs mit einem Passwort oder – im äußersten Fall – zur vollständigen Sperrung des Zugangs mit ein.

Damit ist nun höchstrichterlich bestätigt, dass Anschlussinhaber kein unkalkulierbares Kostenrisiko wegen Schadensersatz- und Unterlassungsansprüchen erwarten müssen. Allerdings ist damit auch festgelegt, dass nach Geltendmachung eines Informationssperranspruchs gem. § 7 Abs. 4 TMG durch Rechteinhaber nun jedoch zumindest auch die Verpflichtung zur Passwortsicherung und Verschlüsselung wiederaufleben kann. Somit ist zwar die „Haftung“ an sich ausgeschlossenen.[23] Das Ziel, Betreibern zu ermöglichen ihre Anschlüsse ohne weitere rechtliche Risiken anderen zur Verfügung stellen zu können und damit letztlich die Verbreitung öffentlichen WLANs zu ermöglichen, wurde damit wohl weiterhin nur teilweise erfüllt.


[1] BGH, Urt. v. 26.07.2018 – I ZR 64/17.

[2] BGH, Urteil vom 12.05.2010 – I ZR 121/08

[3] BGH, Urteil vom 18.10.2001 – I ZR 22/99, GRUR 2002, 618, 619; BGH, Urteil vom 12.05.2010, I ZR 121/08, Rn. 19.

[4] Vgl. auch: Härting, in: Härting, Internetrecht, 6. Auflage 2017, Rdnr. 2728, mit weiteren Ausführungen hierzu.

[5] BGH, Urteil vom 30.03.2017 – I ZR 19/16

[6] Urteil vom 24.11.2016 – I ZR 220/15.

[7] BGH, Urteil vom 24.11.2016 – I ZR 220/15

[8] BGH, Urteil vom 12.05.2010 – I ZR 121/08

[9] LG Hamburg v. 25.11.2010 – 310 O 433/10

[10] AG Koblenz v. 18.6.2014 – 161 C 145/14; AG Hamburg v. 10.6.2014 – 25b C 431/13.

[11] Spindler in Spindler/Schmitz, TMG Kommentar, § 8, Rn. 2.

[12] Härting/Gössling, IPRB 2017, 43, 44.

[13] EuGH, Urt. v. 15.09.2016, C-484/14, EuZW 2016, 821 ff.

[14] Spindler in Spindler/Schmitz, TMG Kommentar, § 8, Rn. 18.

[15] So Härting, in: Härting, Internetrecht, 6. Auflage 2017, S. 587.

[16] Begr. RegE, BT-Drs. 18/12202, 12.

[17] Siehe etwa: Paal, in: Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, 2018, § 7 TMG, Rn. 64.

[18] Spindler in Spindler/Schmitz, TMG Kommentar, § 7, Rn. 96, so auch im Weiteren.

[19] Begr. RegE, BT-Drs. 18/12202, 12.

[20] Spindler in Spindler/Schmitz, TMG Kommentar, § 7, Rn. 101.

[21] BGH, Pressemitteilung Nr. 124/18 vom 26.7.2018, so auch im Weiteren.

[22] Gerade dieser Gesamtausschluss der Haftung hatte zu der Hinterfragung der getroffenen Regelung hinsichtlich dessen unionsrechtlichen Zulässigkeit geführt, vgl. etwa: Spindler in Spindler/Schmitz, TMG Kommentar, § 7, Rn. 101.

[23] Der von Spiegel Online in einer Meldung vom 26.07.2018 gewählte an sich richtige Titel „BGH bestätigt Abschaffung der Störerhaftung“ ist demnach ein wenig irreführend, vgl. z.B.: Sakowski, Abschaffung mit Hintertür, Lto.de, 26.07.2018, zuletzt abgerufen am: 20.08.2018.

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